ACHIM IST BEERDIGT !

Veröffentlicht am | Samstag, den 09.01.10 | Christoph Schlingensief

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War doch trauriger als ich gedacht hatte. man macht sich ja vorher seine gedanken. kerstin meinte auf der hinfahrt , dass sie sicher sehr heulen würde. auf der rückfahrt meinte sie dann aber, dass sie doch nicht heulen musste. beim werner brecht hätte sie allerdings rotz und wasser geheult. norbert, ihr mann, hörte zu. kerstin meinte auch, dass der achim ein feiner gewesen wäre, und dass er wahrscheinlich doch zuviel gesoffen hätte. helga hätte gemeint, er hätte abends gerne mal bier getrunken. und die helga täte ihr sehr leid. der achim hätte sie kerstin mal zum wein eingeladen, als wir in duisburg für kirche der angst geprobt haben. da wäre sie schon sehr verwundert gewesen. und die helga lässt der einfach oben im hotelzimmer liegen. da haben aino und ich sie allerdings in der richtung korrigieren müssen, dass helga in duisburg wegen eines krankenhausaufenthalts nicht dabei sein konnte, und dass dafür kerstins mann norbert oben im zimmer geblieben wäre. norbert bestätigte das. kerstin tat verwundert. na jedenfalls ist kerstin immer mal verwirrt gewesen. achim wollte sie wohl mal heiraten, aber das wollte sie dann nicht. andererseits wäre es natürlich doch interessant gewesen sich das mal vorzustellen. und nun sei es eben norbert. und wie der wäre wüßten wir ja alle… da würde sie lieber nix mehr zu sagen… so ungefähr die anreise. und dann in wildau am friedhof standen bereits leo, julian und sogar tobi, der mittlerweile keine bühnenbilder mehr plant und baut, sondern lieber eine weinlehre begonnen hat. in der schweiz. da wo er herkommt. winzer will er werden. und wir haben uns seit meiner diagnose vor 2 jahren eigentlich nicht mehr gesehen. war eine komische zeit mit uns , aber jetzt war es dafür umso schöner. achim hat uns sozusagen wieder zusammen gebracht. ich war einfach doch zu verkrampft in mancherlei hinsicht. und dann wird man bei so einer scheiße wie dieser krebszeit sogar einem seiner besten freunde gegenüber ungerecht… naja… schnee drüber… es war ganz schön kalt. und achims grab lag wirklich sehr schön zwischen zwei großen und einem kleinen baum. richtig exponiert. nicht in einer reihe, sondern einzeln. wer es mal besucheen will: (wenn man mit dem rücken zur kirche steht, links in den weg, ca. 30 meter geardeaus, dann wieder links und dann läuft man fast darauf zu. helga hatte auch einen kranz. darauf stand: deine heißgeliebte frau ! und helga hat auch am offenen grab, nachdem achims sarg bereits heruntergelassen worden war, ein ganz neues gedicht aufgesagt, was sie extra gelernt hatte. und als alle fertig waren, mit erde reinwerfen und blumen ablegen oder werfen, da ging sie nochmal vor das grab und sagte: “leider kann hans joachim nun unseren 6. hochzeitstag nicht mehr erleben.” sie verbeugte sich, ging zu frau westphal, hakte sich ein und ging langsam zuzrück zur kirche. danach sind wir noch zum großen teil in die cafeteria gegangen und da fiel allmählich die trauer von unseren seelen. helga hat viel erzählt, von achim, von früher, hat viele fragen zur gesundheit gestellt, hatte keinen hunger auf kuchen, schenkte mir zwei computerspiele-cds, unterhielt sich angeregt mit kerstin über die männer, das glück…. und das schönste war für mich bei allen zweifeln und grübelein zu gott und der frage des glaubens, ja, aber wie…. als helga mich plötzlich anschaute und sagte: sag mal christoph glaubst du an gott? und da habe ich gesagt: eigentlich schon…. und da antwortete sie sehr kräftig: “ich auch. weißt du,… mir ist doch schon sehr oft etwas sehr sehr schönes passiert, dass ich denke, dass kann nur ein gott gemacht haben !”   und da bin ich innerlich etwas zusammengesackt. vor glück und auch vor schmerz, dass helga, die in ihrem leben mehr als 50 elektroschocks bekommen hat, keine kinder bekommen durfte, viele zusammenbrüche und klinikaufenthalte hat und hatte, und nun auch ihren so geliebten achim verloren hat, soetwas sagte, war schlußendlich der beweis, dass glück und glauben, zufall und fügung, sünde und verbrechen außerhalb eines götllichen systems liegen müssen. helga ist für mich jedenfalls so eine art zeichen, dass mit ihr etwas passiert, was kein religionsjäckchen verdient hat! helga hat ihren eigenen draht! und da muß man wirklich sagen: das ist der weg ! da müssen wir hin. weg vom religionsjäckchen, hin zu dem kanal, der uns mit diesem göttlichen system verbindet, und der uns immer begleiten wird. im leben wie im tod… in keiner beschränkung, sondern in der vollen eigenverantwortung dessen, was man selber bereit ist zu sein. wer das in sich erkennt hat die möglichkeit weiter zu denkeen und zu fühlen und zu gehen als viele, die vor dem altar oder auf dem gebetsteppich oder der klagemauer halt machen. werden diese bilder nicht immer mehr zur frace ? was soll man vor einer mauer, vor einem altar, auf einem stückchen teppich? was sollen diese beschränkungen, die man uns da beigebracht hat. ich habe beim besten wissen und gewissen nichts gegen rituale. sie sind ausgesprochen wichtige mitarbeiter, aber die wirkliche magie des lebens ist das bekenntnis der eigenverantwortung ohne kreuzchen und gewimmer oder irgendwelcher paraadiesischen heilsversprrechen. wir sind doch alle wesentlich weiter als diese märchenparks. achims beeerdigung war zwar in einer kapelle, ob katholisch oder evangelisch konnte keiner genau erkennen. am anfang lief ein lieblingsschlager von ihm: Aurora Lacasa “Hier, wo das Meer zu Ende ist”  von 1974. (danke für den titel an die mitleser!)  irgendwas mit dem ufer, dass zu ende geht oder der tag, der zuende geht… sogar kerstin kannte den titel wie aus der pistole. erst war es fremd, doch dann stimmte es mehr als ein großer gott wir loben dich! und als ich oben was gesagt habe, mußte ich plötzlich sogar heulen. erst da habe ich begriffen was achim am meisten ausgemacht hat, und das war seine authentizität. das war achim und nichts als achim. da war wirklich mal jemand der, der er wirklich war !  und helga freut sich sicher über jeden anruf oder auch mal über einen besuch….

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