Veröffentlicht am | Freitag, den 09.04.10 | Christoph Schlingensief
Das casting in ouagadougou warfür uns alle ein großer gewinn. über 200 vertreter des lebens fanden sich in den letzten 14 tagen in der tanzschule von irene tassembedoe ein, und spielten mit uns, für uns, für die anderen. das besondere war die für mich wunderbare erfahrung, dass dort keine exzentrischen “theatertypen” oder “kunstfreunde” auftauchten, die nur an sich dachten, sondern vor allem leute, die permanent auch andere menschen aus ihrem leben vorschlugen. also kein konkurrenzkampf europäischer art, wo man dann doch lieber schaut, dass der andere etwas blasser rüberkommt, sondern hier war es sehr oft, dass viele sehr gute musiker oder tänzer ihren kollegen vorschlugen oder bekannte aus der siedlung aus der sie selber kamen oder oder oder….die tanzschule von irene tassembedoe kann ich wirklich jedem ans herz legen.bei einem besuch in ouagadougou nach ihr fragen. sie ist die schwester des viertes ministers des kaisers der mossis. wenn man so nach ihr fragt kommt man vielleicht weiter, als wenn man nach einer tanztschule fragt. irene hat selber 27 jahre in europa gelebt, ist aber in ihre heimat zurückgegangen, um dort nun diese unglaublich schöne tanzcompany zu gründen,. neben ihren eigenen arbeiten gibt sie vor allem auch viele kurse für die 12 bis 18 jährigen mädchen, die der strassenprostitution nachgehen müssen. um ihre familien zu ernähren oder weil sie dazu gezwungen werden. und dieses zusammenspiel von lebensrettung durch neue wegbeschreibungen und eigener kreativer weiterentwicklung ist das besondere. meine beschreibung klingt schon viel zu besonders. man muß den alltag in der schule einfach mal gesehen haben. und auch die momente, wenn dann die teilweise schon etwas europa-erfahrenen gäste der irene-tanzcompany plötzlich auf die menschen treffen, die die angelernten “festivalabmachungen” bereits professionell anwenden. damit meine ich die hauptproblematik solcher arbeiten: wie stark darf der tänzer oder sänger oder mensch nur auf sich vertrauen, oder inwieweit muß er einen tanz- oder musik- oder theater- und kunst-kodex anlernen, damit er endlich auch mal auf diese meist jämmerlichen festivals eingeladen wird. das ist schon ganz schön schwierig. bis jetzt haben sich schon soviele leute per mail oder sogar persönlich vorgestellt, um ihre erfahrung im vertrieb von “afrikanischer kunstware” auf europäische “bühnen” zu organisieren. da gibt es richtige experten. die behaupten von sich, dass sie aus den doch recht trägen afrikanern mit ihrem sehr schlechten theatralischen dasein , einiges brauchbares herausgeholt haben. puhhhhh….. und als ihre eigene referenz geben sie dann zum beispiel auch avignon an. puhhhhh… dieses abgegessene , rotweinnasentreffen der kunstgeschmäckler… (wie ich irgendwo weiter unten schon mal erwähnte… was aber daran liegt, dass ich selber mal in avignon war, und diese selbstgefällige kultur dort nur schwer aushalten konnte. interessant waren nur die ein oder andere junge truppe, die sich eine garage gemietet hatte, in der hoffnung dort gesehen zu werden.aber das nur nebenbei.)
ich empfehle einen besuch bei irene, ohne die wir bei unserem casting auch nicht weit gekommen wäen. ihr hauptsatz war: packt die leute nicht wie in watte an. das ist zum kotzen. das sind genauso leute wie ihr,… und ihr seid auch nicht immer nur höflich. sagt mal was ihr denkt… nur wenn wir diese offenheit gegenseitig anfangen zu praktizieren, können wir auch zu neuen erlebnissen und ergebnissen kommen.
Wenn ihnen also in der nächsten zeit die leute vom foto begegnen sollten, dann fragen sie sie doch mal nach luigi nono.
und wenn sie dann nichs von ihm wissen, dann sind das genau diejenigen, die zwar keine ahnung von nono haben, aber sehr viel ahnung von den themen.
wir freuen uns sehr, aber momentan ist die organisation doch sehr schwierig, weil ich das hier mit einem sehr tollen, aber auf dem tourneegebiet nicht so versierten team selber plane und organisiere. diese tournee ist für uns alle, aber erst recht für unsere gäste ein großes riskantes unternehmen.
vielleicht kann man das mal ein paar leuten in wien, die uns eigentlich zu den wiener festwochen eingeladen haben, und wo jetzt aber noch immer etwas unklarheit herrscht, weitersagen, damit diese tournee sehr schnell auf etwas sichereres gelände kommt. bachler, deufelhard, sl agmuylder, und viele helfer wie armin petras, matthias lilienthal, silvi stantejski, usw… helfen mit, weil sie das projekt nicht nur als folkloreveranstaltung sehen wollen.
ob das dann alles gelingt…. das werden wir sehen…
und ein mindestmaß an sicherheit wäre auch in wien ganz schön…
aber zum glück gibt es dort auch die burg, die sich prächtig engagiert, der kulturstadtrat und das bildungsreferat… (ich kenne mich da leider nicht so aus, wie das in wien alles so heißt…. und herr springer und herr wais… die scheinen auch unglaubliches bewegen zu wollen!) bitte ! helfen sie uns ! in einer woche sollen doch die proben beginnen ! …..
CS
INFORMATIONEN ZUM PROJEKT:
Ein Stück materialisierter afrikanischer Operndorf-Utopie, das nach Europa zurückkommt?
ACHTUNG!: Es ist keine Produktion des Operndorfes, sondern eine begleitende Forschungsarbeit, die den Versuch unternimmt, Schritt für Schritt zu begreifen, warum wir ständig dem afrikanischen Kontinent helfen wollen, obwohl wir uns selber schon lange nicht mehr helfen können und die Frage zu stellen, ob Dinge wie Intoleranz und Indifferenz gegen uns selber nicht der Ursprung für dieses ständige Fehlverhalten sind.„VIA INTOLLERANZA II” wird in Burkina Faso und Berlin seit März 2010 entwickelt und geprobt, und anschließend im Mai beim Kunsten Festival des Arts in Brüssel und auf Kampnagel Hamburg, sowie im Juni 2010 in Wien und an der Bayerischen Staatsoper München gezeigt.
Konzept und Künstlerische Leitung: Christoph Schlingensief / Bühne: Thomas Goerge / Kostüme: Aino Laberenz / Licht: Voxi Bärenklau / Video: Meika Dresenkamp / Musik und Dirigat: Arno Waschk / Ton: David Gierth / Dramaturgie: Carl Hegemann , Anna HeesenVIA INTOLLERANZA II ist eine Produktion der Festspielhaus Afrika gGmbH in Koproduktion mit Kampnagel Hamburg, der Bayerischen Staatsoper, dem Kunstenfestivaldesarts Brüssel und Wiener Partnern.
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