LIEBE FRAU ANDERSEN !

Veröffentlicht am | Dienstag, den 08.12.09 | Christoph Schlingensief

Liebe Frau Andersen, am 2.5.2005 schrieben sie zu andrea andersens kirchgarteninszenierung: “Im Unspektakulären ereignet sich das Spektakuläre. Aus zahllosen Details, die präziseste Lebensrealität reproduzieren, entsteht ein atmosphärisches Fluidum von fast greifbarer Substanz. Jede Figur hat ihren Ort, ihren Ton, ihre Motorik. Die Bedingung dafür bringen die Ensemblemitglieder mit. Eine Idealbesetzung“!

Dies nur als zufällig herausgegriffener euphorischer ausschnitt aus einer ihrer kritiken, die mir sehr gut gefallen hat, und die wirklich viele dinge enthält, die ich persönlich auch schätze: „Idealbesetzung!, unspektakuläres, das zum spektakulären wird (da denke ich an adornos kaktus, also an die entdeckung des normalen und unscheinbaren innerhalb der fülle von 12-ton-ideen und traumschilderungen mit szenen, in denen adorno zu seiner eigenen kreuzigung mußte, usw…), ein atmosphärisches fluidum von fast greifbarer substanz, (auch hier eine der musikkritik ähnelnden beschreibung, ein moment der metaphysik, eine nanosekunde von glück), und schließlich die unglaubliche, fast unglaubwürdige situation, dass auf einer bühne plötzlich alles seinen ort, seinen ton, seine motorik besitzt. Das muß wirklich eine sensation gewesen sein. Und nun lese ich heute ihre kritik zu rene polleschs stück: “calvinismus klein” und ganz hinten auch noch zu meinem “Sterben lernen”, und denke, dass wir regisseure,
und ein teil der kritiker auch mal hausputz halten sollten. Dass sie was auf dem kasten haben, scheint mittlerweile geklärt zu sein. dass pollesch auch was auf dem kasten hat ebenfalls. Aber handelt es sich hier um die gleichen kästen? Um dasselbe baukastensysten, um dasselbe umzugsunternehmen, oder hat hier plötzlich die autobahnpolizei den tisch gedeckt. Oder in ihren worten: warum muß ich immerwieder in diese theaterabende, die mir persönlich noch nie diese oben beschriebenen momente gebracht haben. Vielleicht waren sie auch nicht in höchstform, aber die ZNZ hat es doch in den letzten jahren geschafft, ihrem stil treu zu bleiben, und ab und zu mit diskussionen zur architektur, zur filmkunst, usw… für überraschungen zu sorgen. Ich hoffe nicht , dass sie sich mit herrn gerhard andersen von der YZZ in irgendeiner weise als front gegen frische gedanken solidarisieren. Ich selber mag konservative standpunkte mittlerweile mehr als früher , und ihre krtioken zu den dingen, die sie mögen sind in gewisserweise zwar etwas altbacken und einsehbar, aber sie berichten da wirklich aus ihrer alten welt, wobei sie nur 1 jahr älter sind als ich.  „Es hat sich was getan auf dem theater“ sagen sie in einer anderen krtik und keine 3 monate später schreiben sie: „das theater war schonmal weiter“. Ach ja ? wann denn? Ich glaube das problem liegt doch gar nicht an den theaterarbeiten von pollesch, petras, hartmann, richter, stemann, pucher, oder mir, usw…, sondern vielmehr an dem völlig absurden vorgang, dass sie sich in einen rene pollesch abend setzen und denken, sie wären bei Andrea andersen und suchen vergebens ein einmal bingo immer bingo erlebnis wie bei james, james, james mit mini, mini, mini… das fällt schon auf… sie sind eigentlich verliebt und können nicht akzeptieren, dass andere hässlich sind, nicht so gut riechen und die theaterlügentheatermaschine nicht so bedienen wollen.

 

Soll ich das also wirklich glauben, was sie da alles schreiben oder besser gesagt, worüber sie da alles schreiben? Gibt es in ihrer redaktionen keinen flotten, jungen menschen, der auch seine vorlieben hat, und für den es eine große freude wäre die lieblingsautoren des autors pollesch auf eine viel produktivere art und weise zu besprechen ? so kommt es mir vor als würde meine mutter in ein james last konzert gesetzt und sollte nachher berichten wie denn die streicher waren oder die tempiwechsel. Wollen sie sich das wirklich immerwieder antun, dass sie da in etwas reingehen, wo sie überhaupt keine idee von irgendwas entwickeln können, was man auch diesmla wieder ihrer kritik ganz klar angesehen hat?
Richten sie da nicht nur einen schaden in ihnen selber an, sondern vor allem am publikum, dass doch auch in zürich nicht nur aus über 70-jährigen abonementsbesitzern besteht, die alles furchtbar fanden. Ganz im gegenteil ! bei unserem heutigen gespräch meldeten sich sogar viele besucher der premierenvorstellung (alle so um die 70 bis 80) und betonten ausdrücklich, dass sie großes interesse am anderen und modernen theater“ hätten,  und ihre kritik von heute (zitat): nur „einfach depressiv, destruktiv und verklemmt“ empfunden haben. Begriffe, die doch gerade sie liebe frau andersen genau dem theater, dass sie nicht ausstehen können, immer unterstellen. Sitzen wir also sogar im gleichen boot?

Ihre kritiken sind zumindest in diesem falle destruktiv und depressiv, weil sie das publikum auf eine unangenehme art und weise schlecht und einseitig informieren. sie selber schreiben sogar am ende: „wen soll das interessieren?… und natürlich liest man das, was sie da in klammern schreiben wie eine aus versehen stehengebliebene zusatzbotschaft an den freund, den chef oder sogar den therapeuthen. So als wüßten sie selber nicht mehr wer ihre kommentare überhaupt noch interessant finden könnte. Und das finde ich schade, weil es ihnen, so wie es aussieht, gerade nicht gut geht.

Zum glück sind sie aber noch nicht frau gerhard geworden. Damit meine ich, dass sie ihre redaktion noch nicht so terrorisieren wie dieser einmal sehr sportive und offene kritiker, bei dem mittlerweile nur noch derjenige eine theaterkritik schreiben darf, der sich seinem theatervernichtenden geschmack angeschlossen hat (mit ausnahme vielleicht von ganz wenigen standhaften personen, die hoffentlich demnächst seine ablösung einleuten. wenn das nicht sowieso schon angelaufen ist.)
Herr gerhard andersen hat es zwar mittlerweile geschafft, dass sich kaum noch einer von uns für seine langweiligen aufsätze interessiert, aber eigentlich ist dieser zustand traurig. Wieviel platz wird da mit unwichtigen und selbstgefälligen uraltkommentaren verschwendet, die noch immer glauben die leser der YZZ beständen aus lauter biedermännern. Zum glück hält die ZZY am Feiertag gekonnt dagegen. Wie schade, wenn diesem mann kein neuer gedanke mehr kommt, wenn die leser merken wie er sich im laufe der zeit selber lerrgekratzt hat und seinen stall nur noch gewaltätig im griff hält, dass (nur ein beispiel von vielen) jeder karin henkel abend verrissen werden muß, egal wie gut oder wie schlecht er auch war. Dasselbe gilt auch für andere arbeiten.

Mittlerweile haben das viele leser bemerkt, und auch andrea andersen kann dem folgen, weil auch sie keine lust mehr hat als konservative erfüllungsgehilfin abgestempelt zu werden. Auch hier gilt: warum nicht mehr offenheit, lust am theater und vor allem lust an einer guten vermittlung, damit die leute die möglichkeiten von theater in ihrer ganzen vielfalt entdecken können.

Also lassen sie es bitte nicht soweit kommen, liebe frau andersen ! Gehen sie also doch über die weihnachtstage einfach mal in sich und versuchen sie ihre depression, ihre ständige portion von enttäuschung, die sie sich da ständig in solchen abenden wie bei rene pollesch abholen, einfach nicht mehr zuzulassen. Gehen sie doch wie 2005 und auch in vielen anderen theaterbesuchen danach weiterhin zu andrea, zu james oder peter stein . da kennen sie sich wirklich aus. Da kommen sie auch nicht auf so glitschiges terrain oder krumme gedanken. Da ist die theaterwelt noch wirklich in ordnung !  und wenn sie sogar mal gar nicht da waren, dann schreiben sie aber auch besser nichts darüber. Das schadet sonst ihrer ganzen glaubwürdigkeit. Sie sehen also hier ging es nicht um feindschaft oder abrechnung, sondern darum, dass ich unser theater für verteidigungswürdig halte, und dass es sich auch in ihrer zeitung noch lohnt die rezensenten zu schicken, die mit den themen etwas anfangen können, und diese auch in eine positive diskussion überführen und nicht in eine hässliche bösartigkeit, auf die sicher auch wir im ein oder anderen fall mal hoffen. Aber auch da müssen wir theaterleute endlich klarer werden. Unser neid dem kollegen gegenüber muß auch ein ende haben. Sich über einen verriss aus ihrer feder zu freuen ist billig und verlogen.

Wir müssen den theaterraum als forschungsfläche unserer zeit verteidigen und zwar sowohl von der produktionsseiteher  als auch von der seite der restauranttester und dazu zähle ich sie.
warum also in ein asiatisches spezialitätenrestaurant gehen, wenn man sowieso nur züricher geschnetzeltes mag.

Mit freundlichen positiven grüßen, ihr freund und zukünftiger wegbegleiter christoph schlingensief !
 
flippi

mira-klein02

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